Dienstag, 1. Oktober 2024

Kapitel 11: Der Geheimgang

Der Sommer stand vor der Tür.
Ina lief gerade auf dem Kakteenhügel auf und ab. Es war genau der Hügel, den sie im Winter als Rodelberg benutzt hatten, als auf ihm eine dicke Schneedecke gelegen hatte. Plötzlich stolperte sie über einen Kaktus und schlug mit dem Kopf gegen etwas hartes. Als der erste Schock vorbei war und sie ihre Augen wieder aufmachte, entdeckte sie eine kleine, sehr alte Holztür. Geschwind rannte sie zum Haus und holte die anderen menschlichen Inselbewohnerinnen (also Luzia, Elena, Anja, Nuya, Zara und Sofie) zum Fundort.
Luzia wollte die Tür öffnen und war sehr gespannt auf die geheimnissvolle Welt, die sich hinter ihr verbarg.
Zara war fest davon überzeugt, sie würden einen Schatz finden. Sie behauptete sogar, es spüren zu können. Doch ob es dort wirklich einen Schatz gab oder ob es nur eine Mischung aus Bauchgefühl, Aufregung und Fantasie von Zara war, war nicht klar.
Anja wollte die Tür ebenfalls öffnen.
Nuya blieb zurückhaltend mit Ideen und Vermutungen und schwieg. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie im geheimen aber auch gespannt und wollte mindestens genauso gerne herausfinden, was für ein Geheimnis die kleine Holztür barg.
Elena war der Meinung, die sieben sollten nicht zu vorschnell in das, was hinter der Tür war, hereingelangen wollen, da man ja nie wissen konnte, ob dahinter vielleicht Gefahren lauerten. Sie war sichtlich nervös.
Sofie vermutete, hinter der Tür läge ein Geheimgang.
Ina wollte in dem, was hinter der Tür lag, Gummibärchen finden. Die anderen fanden diese Vermutung sehr unwahrscheinlich und lächerlich, doch Ina war fest davon überzeugt, da irgendetwas ihr sagte, dass der Gedanke gar nicht mal so abwegig war.
Nun kam auch Dinologastro dazu, der vor einer Minute noch friedlich geschlummert hatte und noch sichtlich schlaftrunken war. "Entschuldigung", sagte er, "ich hab erstmal nicht richtig verstanden, dass ich auch mitkommen soll. Ich war noch im Halbschlaf und hab alles irgendwie nur mit halbem Ohr mitbekommen... Na ja, mit halbem Hörloch oder wie man das nennt. Richtige Ohren habe ich jedenfalls nicht, nein, durchaus nicht, das seht ihr ja alle."
"Alles gut", beruhigte ihn Luzia. "Ich weiß gar nicht mal, ob die Welt hinter der Holztür oder was auch immer hinter dieser Tür ist, für dich geeignet ist. Natürlich kannst du trotzdem mitkommen."
"Also, los jetzt! Mach die Tür auf, Luzia! Sonst werde ich noch ganz zappelig!", rief Ina aufgeregt und hüpfte ungeduldig hin und her.
"Ruhig Blut, ruhig Blut, nicht so voreilig!", sagte Luzia ruhig. "Wir haben noch nicht mal den Schlüssel, den wir für die Tür brauchen, damit wir sie öffnen können! Falls ihr überhaupt schon bemerkt habt, dass wir einen Schlüssel brauchen. Es gibt nämlich ein Schlüsselloch für den Schlüssel, seht ihr? Ihr könnt auch gerne ausprobieren, die Tür zu öffnen, ohne Schlüssel geht sie nicht auf. Also, will wer mit mir den Schlüssel suchen? Einer oder zwei reichen."
Alle Finger schossen gleichzeitig in die Luft und alle schrien so laut wie möglich: "ICH!"
"Na gut, dann suchen eben alle." Luzia seufzte. "Wir teilen uns auf. Jeder geht an einen anderen Ort. Anja und Sofie, ihr geht in den Osten suchen. Anja, du suchst im Palmenwald, Sofie, du durchsuchst den Wundersee und fragst die Schwäne nach dem Schlüssel. Ina und Elena, ihr geht in den Westen. Ina, du gehst in die Berge, Elena in die Region in der Nähe der Berge, dort, wo die vielen Wiesen sind, klar? Nuya und Zara, ihr geht in den Süden der Insel, in die kleine Wüstenregion. Zara, du gehst richtig in die Wüste rein, Nuya, du bleibst im Bereich mit den vielen Oasen. Ich selbst gehe mit Dinologastro in den Norden und suche die vielen Flüsse dort ab. Okay?"
Alle waren einverstanden und nickten. Dann zerstreuten sie sich in die vorgegebenen Richtungen, um den Schlüssel zur Holztür zu suchen. Nach einer Weile hatten sie ihn schließlich gefunden. Er war am zentralsten Punkt der Insel gewesen.
Unter den Jubelschreien der sechs Mädchen steckte Luzia den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffnete tapfer die Tür. Sie quietschte leise.
Nuya hielt sich die Ohren zu, als sie das Quietschen hörte. Sie konnte solche Töne gar nicht aushalten und kreischte laut, als die Tür noch einmal quietschte, als sie die Hände wieder von ihren Ohren gelöst hatte.
Nach dem Öffnen der Tür betrat Luzia unter den ehrfurchtsvollen Blicken der Mädchen und mit ihren laut verhallenden Schritten die absolute Stille brechend, die Tür und stellte fest, dass sie sich in einem Geheimgang befand, so, wie Sofie es ja vermutet hatte.
Als der Ton von Luzias ersten Schritten entgültig verklungen war, wagte sich eine nach der anderen in den Tunnel zu Luzia hinein und lief durch die Tür. Schließlich folgte Dinologastro. Seine großen Füße produzierten dumpfe Töne und er schaffte es nur gerade so mit ein wenig Hilfe der Glücksfee, seinen riesigen gigantischen gigantomanischen supersuperduperlangen Dinosaurierhals so nach unten zu strecken, dass er nicht oben durch die Decke brach, wieder ans Tageslicht kam und stecken blieb. Allerdings war das so überhaupt nicht leicht und extrem ermüdend für ihn, seinen Hals so zu senken, und mit einer falschen Bewegung des Schwanzes würde er entgültig aus der Balance kommen. Schon bald hielt er es nicht mehr aus und sein Hals streifte die Decke. Eine Menge Staub fiel auf den Kopf des Dinosauriers und er musste superlaut niesen:
HATSCHI!
Für ein paar Sekunden herrschte angstvolles Schweigen, da alle befürchteten, die Däcke wäre nicht sicher und der Gang einsturzgefährdet und durch Dinologastros Nieser könnte die Decke über ihnen jederzeit einstürzen. Als ein paar Minuten immer noch nichts geschehen war, fingen die sieben wieder an zu reden und beruhigten sich wieder.
Nun wurde es ziemlich feucht. Nuya, Ina und Elena ekelten sich furchtbar.
Als Nuya einen Schimmelpilz sah, schrie sie sogar schrill auf und wich instinktiv zur Seite. Fast wäre sie hingefallen, aber die anderen kamen ihr rechtzeitig zu Hilfe und halfen ihr sofort wieder auf. Doch auf Nuya wartete der nächste Schock: Spinnennetze und lichtscheue Tiere, die den Tunnel bewohnten. Wieder kreischte sie auf und musste sich an den Tunnelwänden abstützen. Als sie den Schatten einer Ratte vorbeihuschen sah, konnte sie nicht mehr aufhören zu kreischen. Schon bald tauchten die nächsten Ratten auf und folgten der ersten.
Kein Wunder, dass Anja, Sofie und Zara sich nicht ekelten, ihnen waren die vielen ekligen oder ein bisschen gruseligen Sachen gar nicht aufgefallen und sie hatten sie nicht bemerkt. Als sie die Ratten, Spinnen und Schimmelpilze nun irgendwann bemerkten, erlebten sie kurz eine Art Schockstarre, fassten sich schnell aber wieder und redeten sicherheitshalber ein bisschen miteinander, um sich  nicht zu ekeln oder zu gruseln.
Inzwischen hangen sogar schon Fledermäuse an den Decken.
Der Grund, warum Luzia und Dinologastro sich nicht ekelten und gruselten, war ganz einfach: Sie ignorierten die vielen Tiere einfach und ließen sich von ihnen nicht beirren. Dinologastro musste sich jetzt sowieso mit ganz anderen Sorgen beschäftigen, und zwar mit seinem Hals und seiner Balance. Schließlich, als ihm der Hals schon wehtat, fragte er kläglich: "Wo endet dieser gang eigentlich mal?"
"Das weiß niemand von uns", flüsterte Luzia. "Wir können nur ungefähr schätzen. Und wir können hoffen, dass er nicht viel zu lang ist."
Der Gang wurde immer düsterer. Das einzige Licht war nun Luzias Laterne. Der Geheimgang war sehr lang. Er schien fast unendlich zu sein.
Stunde um Stunde verging.
Dinologastro sah zur niedrigen Decke hinauf. Er gähnte und dachte an seine schon etwas müden Beine und seinen schmerzenden Hals.
Nach einem Weilchen beschloss Luzia, ihre Schritte zu beschleunigen.
Mit schnellen Schritten folgten die Mädchen Luzia und dem Dinosaurier Dinologastro.
Nach etlichen Stunden sahen sie nun endlich ein erstes zweites Licht. Doch sie waren noch lange nicht am Ziel, was auch immer das Ziel war. Das Licht war nämlich nur ein Loch in der Decke. Es war so groß und breit, dass Dinologastro seinen Hals nach draußen strecken konnte und ihn wieder herausziehen konnte, ohne sich dabei zu verletzen oder zu ersticken.
Nun wusste Luzia auch, wo sie sich befanden: mitten unter dem Palmenwald. Und dieser befand sich im Osten der Insel. Es vergingen noch ein paar Stunden. Dann drang ein Geräusch an die Ohren der Inselbewohnerinnen und Dinologastro. Es war ein Plätschern, das einer wunderbaren Musik glich. Das war bestimmt der Wundersee! Aber Luzia irrte sich. Denn schon kamen die Freunde in einer alten, aber schönen Kammer an. Dort stand ein uralter verstaubter Globus, aus dem die Musik drang. Vermutlich stammte er sogar noch aus dem Mittelalter, möglich wäre es! Und da entdeckte Luzia einen Knopf, der genau auf der Stelle der Traum-Insel war! Vorsichtig drückte Luzia den Knopf. Der Globus zersprang in zwei Hälften und aus ihm kamen unendlich viele Süßigkeiten! Nun hatten sie einen zweiten unendlichen Süßigkeitenschatz!
💞

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